“Die Natur kann unsere Retterin sein. Aber nur, wenn wir sie zuerst retten.”
Überschattet von den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine hat der Weltklimarat IPCC in der vergangenen Woche einen neuen Bericht veröffentlicht. In dem 3675 Seiten starken Report warnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor den dramatischen Auswirkungen der globalen Erwärmung – und zeigen Ansätze auf, um die Klimakatastrophe doch noch abzuwenden.
Seit 1988 fertigen Klimaexpertinnen und -experten aus der ganzen Welt in regelmäßigen Abständen sogenannte “Assessment Reports” im Auftrag der Vereinten Nationen an. Mit dem neuesten Bericht des “Intergovernmental Panel on Climate Change” (IPCC) endet die sechste Beobachtungsperiode dieses Gremiums. Es ist die zweite Veröffentlichung im Rahmen des sechsten “Assessment Reports” (AR6).
Sie folgt auf den ersten Teil des AR6, der im vergangenen August veröffentlicht wurde und sich auf die wissenschaftlichen Grundlagen hinter dem Klimawandel konzentrierte. Diesmal legten die Forschenden den Fokus auf die Folgen der Klimakatastrophe für uns Menschen und unseren Planeten. Oder wie es der Vorsitzende des IPCC Hoesung Lee formulierte: “Dieser Bericht ist eine eindringliche Warnung vor den Folgen der Untätigkeit”.
Aber wie schlimm könnte es kommen? Und was müssen wir jetzt dagegen unternehmen?
Uns läuft die Zeit davon
Aktuelle Entwicklungen, vom Schmelzen der Polkappen bis zur Zerstörung der Korallenriffe, bestätigen die schlimmsten Prognosen aus früheren Studien. 40 % der Weltbevölkerung sind stark gefährdet von den Auswirkungen des Klimawandels. Bestimmte Weltregionen, nicht exklusiv, aber vor allem in Afrika, könnten unbewohnbar werden. Und die Zeit läuft uns davon.
Deshalb ist es alternativlos, die globalen Emissionen um 45 % bis 2030 zu senken und bis 2050 klimaneutral zu werden. Der Bericht fordert die Regierungen der G20-Nationen dazu auf, ihre Versprechen einzulösen und die Energiewende hin zu einer Zukunft mit erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Fossile Brennstoffe bezeichnen die Autorinnen und Autoren als “Sackgasse für unseren Planeten, für die Menschheit und ja, auch für die Wirtschaft”.
Adaption ist wichtig – doch sie hat Grenzen
Doch ganz unabhängig davon, wie gut es uns gelingt, den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu reduzieren – ein gewisser Anstieg des Weltklimas wird nicht zu verhindern sein. Und die Folgen der Klimakatastrophe sind bereits heute deutlich zu spüren.
Hitzewellen, Dürren und Überflutungen führen viele Tier- und Pflanzenarten an ihre absolute Belastungsgrenze und darüber hinaus, was in massenhaftem Artensterben, z.B. bei Bäumen und Korallen, resultiert. 3,5 Milliarden Menschen weltweit haben keine andere Wahl, als sich auf extreme Wetterphänomene oder einen Mangel an Wasser und Nahrungsmittel einzustellen. Eine solche Adaption an den Klimawandel kann zum Beispiel durch den Bau von Hafendämmen, oder die Stärkung der Biodiversität durch den Anbau verschiedener Baum- und Pflanzenarten erfolgen.
Die Forschenden betonen in ihrem Bericht dabei die Interdependenz zwischen dem Klima, Biodiversität und Menschen und beziehen, so stark wie nie zuvor, auch sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Erwägungen in ihr Urteil mit ein.
Sie machen klar, dass Menschen in wirtschaftlich schwächeren Gemeinden oftmals besonders stark von den Auswirkungen der Klimakatastrophe betroffen sind. Gleichzeitig sind sie am schlechtesten auf deren Folgen vorbereitet. Es gibt Regionen, in denen sich Menschen noch effektiv gegen “weiche Limits” wie steigende Temperaturen und extreme Wetterereignisse schützen könnten. Laut IPCC fehlen ihnen jedoch einfach die Mittel dafür.
Neben Investitionen in die Energiewende und das Erreichen der gesetzten CO₂-Ziele müssen wir deshalb die Kommunen und Menschen unterstützen, die den oben beschriebenen Konsequenzen besonders stark ausgeliefert sind – darunter Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, oder Gemeinden in tief liegenden Küstenregionen. Lässt man diese Menschen im Stich, werden Ernteausfälle oder zerstörte Infrastruktur Leid und Armut weiter befeuern. Stärken wir sie jedoch durch Investitionen, mit Geld, Technologie und Bildung, könnten Regionen, die von “weichen Limits” betroffen sind, aufblühen.
Natürlich sind der menschlichen Anpassungsfähigkeit Grenzen gesetzt. Spätestens wenn die globale Erwärmung noch deutlich weiter ansteigt, werden aus weichen “harte Limits”, die irreversible Änderungen mit sich bringen und vor denen wir uns nicht mehr schützen können. So sorgte der Anstieg des Meeresspiegels beispielsweise dafür, dass bereits mindestens fünf Inseln im Pazifischen Ozean untergegangen sind und viele weitere vom gleichen Schicksal bedroht werden.
Adaption gelingt nur mit Klimagerechtigkeit
Sprechen wir von Adaption, müssen wir auch über eine grundlegende Gerechtigkeitsfrage sprechen: Wer bezahlt die Rechnung für die Klimakatastrophe?
Der IPCC stellt fest, dass die Menschen, die am wenigsten umweltschädliche Gase emittieren, am meisten an den Folgen des Klimawandels leiden. Gleichzeitig haben Industrieländer, deren Wohlstand zu großem Teil auf dem Verbrennen fossiler Energien fußt, die finanziellen Mittel, sich zu schützen und zu isolieren. Manche der reichsten Nationen der Welt leugnen noch immer ihre Verantwortung für den Klimawandel – auf Reparaturzahlungen und andere Formen der Unterstützung kann hier nicht gehofft werden.
Schon die Weltklimakonferenz in Glasgow hat gezeigt, dass in der Finanzierung ein grundlegendes Problem der Adaption an den Klimawandel liegt. Für das nächste Treffen in Ägypten in diesem Jahr stehen neue Verhandlungen auf der Agenda. Nur wenn wir eine echte Klimagerechtigkeit etablieren, Menschen vor Ort bei allen Maßnahmen einbinden, stabile Demokratien und eine sichere Lebensmittelversorgung garantieren, können wir die größte Herausforderung der Menschheit bewältigen.
“Die Natur kann unsere Retterin sein. Aber nur, wenn wir sie zuerst retten.”
Zusammenfassend ist die Botschaft des IPCC klar: Unser Handlungsfenster schließt sich noch im aktuellen Jahrzehnt. Nur wenn es uns gelingt, Emissionen deutlich zu reduzieren und gleichzeitig vermeidbare Katastrophen durch Investitionen in Adaptionen abwenden, können wir erfolgreich sein.
Dabei geht es nicht nur um ungerichtete Finanzspritzen, sondern auch um Investitionen in Bildung, Gesundheitssysteme – und in unsere Natur. Denn, da ist sich die Vorsitzende des UN Environment Programs, Inger Anderson, sicher: “Die Natur kann unsere Retterin sein. Aber nur, wenn wir sie zuerst retten.”